Hallo, darf ich mich vorstellen? – Ich bin Pippo! – Also, eigentlich heiße ich Raban. Pippo ist nur mein Künstlername. Ich bin nämlich Zirkusclown, obwohl ich erst 10 Jahre alt bin. Meine Geschwister und ich sind alle Clowns. Ich habe einen großen Bruder Peppino, der eigentlich Lennart heißt. Der ist schon fünfzehn und oft ziemlich bescheuert. Er sagt aber immer, dass große Brüder so sein müssen. Peppina ist meine ältere Schwester. Im richtigen Leben heißt sie Clara. Mit ihr verstehe ich mich eigentlich ganz gut. Nur dann nicht, wenn sie rumzickt, weil sie die großen Punkte auf ihrem Kostüm affig findet.
Und dann ist da noch unser kleiner Bruder Justus. Der ist erst sieben, aber auch schon ein richtiger Clown, und er hat auch einen Künstlernamen. Er heißt Piccolo. Weil wir aber jeden Tag im Zirkus auftreten, nennen uns alle immer nur mit unseren Clownsnamen an. Sogar unsere Eltern. Nur, wenn wir Dummheiten gemacht haben, dann kommen unsere richtigen Namen zum Einsatz.
Wir wohnen alle zusammen in einem großen Wohnwagen. Der steht zusammen mit all den anderen Wohnwagen von den anderen Artisten um das Zirkuszelt herum. Immer in der Stadt, wo der Zirkus gerade Station macht. Das Leben im Zirkus ist ziemlich aufregend, besonders für mich. Ich bin nämlich nicht nur Clown, sondern auch Detektiv. Immer, wenn etwas passiert, bin ich zur Stelle, und stelle Ermittlungen an. Bislang habe ich immer alle Fälle gelöst!
Aber in letzter Zeit ist nichts passiert, weshalb es mir recht langweilig geworden ist. Deshalb spiele ich jetzt zum tausendsten Mal mit Piccolo Verstecken. Aber sogar das wird ziemlich langweilig. Denn mittlerweile weiß ich ziemlich gut, dass er sich immer hinter dem Wohnwagen von Hanno, dem Zauberer, versteckt.
Damit Piccolo nicht beleidigt ist, suche ich aber erst hinterm Kassenhäuschen, und schlendere dann gemütlich an drei Wohnwagen vorbei, bis ich an Hannos Wagen ankomme.
„Hab dich gefunden!“, rufe ich und springe um die Ecke des Wohnwagens. Aber zu meiner großen Überraschung fehlt von meinem Bruder jede Spur. Das wundert mich ziemlich. Ich will schon gehen, aber plötzlich fällt mir etwas auf. An der weißen Rückwand von Hannos Wagen steht mit dicker schwarzer Farbe etwas geschrieben. Ich gehe näher heran.
„Hokos Pokus“, lese ich. Hat Hanno das etwa geschrieben? Das kommt mir komisch vor. Ich gehe noch näher heran. Die Farbe ist an den Rändern ziemlich verlaufen. Ich strecke meine Hand aus und gehe mit meinen Fingern über die Buchstaben. Verdammt, die Farbe war noch nass, jetzt habe ich schwarze Finger. Ich versuche vergeblich sie an meiner Hose abzureiben. „So ein Mist!“, fluche ich.
In diesem Moment sehe ich etwas unter dem Wohnwagen liegen. Neugierig bücke ich mich. Dort unten auf den Pflastersteinen liegt eine schwarze Metalldose mit einem silbernen Kopf. Sie sieht ein bisschen aus, wie die Haarspraydosen, die wir im Kostümwagen haben. Ich hebe die Dose auf.
Als ich mich aufrichte, stoße ich mit dem Kopf gegen die Wohnwagenwand, dass es poltert.
„Autsch!“, rufe ich, „Verflixt und zugenäht!“ Das tut ganz schön weh und vorsichtig taste ich mit meiner Hand nach meinem Kopf. Blutet da was? – Nein, zum Glück nicht!
„He, was machst du denn hier?“
Erschrocken drehe ich mich um. Hanno steht hinter mir.
„Ich suche Piccolo“, stottere ich.
Aber jetzt sieht Hanno das „Hokus Pokus“ auf seinem Wohnwagen. Und, was noch viel schlimmer ist, er sieht die Dose in meiner Hand.
„Findest du das etwa lustig?“, fragt Hanno und sieht mich böse an.
Oh nein! Er denkt doch nicht etwa, dass ich…?
„So eine Sauerei geht doch nicht mehr weg! Was hast du dir dabei gedacht?“
Verdammt, Hanno denkt wirklich, dass ich das „Hokus Pokus“ geschrieben habe.
„Aber ich war das doch gar nicht!“, sage ich empört. Wie kann Hanno nur so etwas von mir denken?
„Und was ist das für eine Dose in deiner Hand?“, will Hanno wissen.
„Die habe ich hier gefunden!“, antworte ich wahrheitsgemäß.
Blöd ist nur, dass Hanno mir das nicht glaubt. Er zieht mich am Ärmel und entdeckt dabei meine schmutzigen Finger.
„Und die Farbe an den Fingern hast du wohl auch schon vorher gehabt!“, sagt Hanno.
„Nein, aber…“
„Damit das klar ist, das machst du alles selber wieder sauber!“, fordert Hanno.
Plötzlich steht Papa hinter uns. So ein Glück! Er wird mich retten! „Pippo, wo bleibst du denn? Das Mittagessen ist schon lange fertig.“
Dann sieht Papa das „Hokus Pokus“ und die Dose in meiner Hand. Und er sieht auch, dass Hanno böse guckt.
„Was hast du nur wieder angestellt?“, fragt Papa.
Oh nein, auch das noch! Papa denkt auch, dass ich das geschrieben habe. Das kann doch alles nicht wahr sein!
„Wenn du das wieder sauber machst, hab ich die Sache vergessen“, erklärt Hanno.
Ich will das aber gar nicht sauber machen! Schließlich habe ich das da auch nicht hingeschmiert, denke ich.
Papa sieht mich nun auch ziemlich böse an. „Und du wirst dich bei Hanno entschuldigen, Raban!“
Verflixt! Papa hat Raban zu mir gesagt. Er ist nun also wirklich sauer.
„Aber…“, versuche ich es noch einmal.
Doch Papa und Hanno hören mir nicht zu. Also entschuldige ich mich zähneknirschend, aber innerlich koche ich vor Wut. Papa und ich gehen zu unserem Wohnwagen, und da erfahren natürlich auch Mama, Peppino, Peppina und Piccolo von allem.
„Ich glaub’s nicht, mein kleiner Bruder randaliert!“, ruft Peppino.
„Ich randaliere gleich wirklich, wenn mir keiner glaubt!“, sage ich und funkle meinen großen Bruder böse an. Natürlich habe ich wieder meine Unschuld beteuert, aber keiner wollte meine Geschichte glauben. So eine himmelschreiende Ungerechtigkeit!
Bei so einem Ärger schmecken noch nicht einmal die Spaghetti. Und die esse ich sonst am liebsten!
Für den Rest des Tages bin ich schlecht gelaunt. Lustlos ziehe ich am Abend mein Clownskostüm an. Aber in der Manege mache ich wieder Witze und grinse. Das muss man nämlich als professioneller Clown, auch wenn man gar keine Lust dazu hat.
Als wir unsere Nummer zu Ende gebracht haben und aus dem Zelt laufen, zupft Piccolo mich am Ärmel.
„Du, Pippo“, sagt er leise.
„Was ist los?“, frage ich, obwohl mir das eigentlich egal ist. Ich will einfach nur meine Ruhe haben.
„Ich hab gesehen, wer das an Hannos Wagen geschrieben hat.“
Verblüfft sehe ich meinen kleinen Bruder an. Nun ist mir überhaupt nicht mehr egal, was er sagt. Ich will alles ganz genau wissen.
„Ich wollte mich verstecken, aber dann habe ich gesehen, dass der Junge da stand. Ich hab hinter dem anderen Wohnwagen gestanden und ihn beobachtet“, flüstert Piccolo geheimnisvoll.
„Ein Junge?“, frage ich überrascht.
„Ja, der war so groß wie Peppino“, erklärt Piccolo. „Er ist heute Abend auch in der Vorstellung. Ich hab ihn am Kassenhäuschen gesehen.“
Ich lege meinem Bruder den Arm um die Schulter. „Piccolo, du bist ein guter Detektiv“, sage ich.
Piccolo freut sich, dass ich das gesagt habe. Mir fällt aber noch etwas ein. Der Junge muss ja nun auch noch gefasst werden. Aber wie soll ich das machen? Außerdem brauche ich ja einen Beweis. Der Junge, der Hannos Wagen bemalt hat, wird wohl nicht zugeben, dass die Dose, die ich gefunden habe, ihm gehört.
„Gleich ist Pause, dann kannst du ihn mir zeigen, Piccolo“, sage ich.
Wir ziehen unserer Kostüme aus und warten, dass die Pause anfängt. Die meisten Leute verlassen das Zelt, um Popcorn und Zuckerwatte zu kaufen. Piccolo und ich gehen an den Leuten vorbei. Plötzlich zieht mich Piccolo wieder am Ärmel.
„Da ist er“, flüstert er aufgeregt.
Mein Herz schlägt schneller. Ich bin ganz schön aufgeregt. Der Junge, auf den mein Bruder zeigt, steht mit drei anderen Jungen zusammen und isst Zuckerwatte. Dabei lachen sie. Unauffällig gehe ich näher an sie heran, und lausche, was sie sagen.
„Was hast du gesprüht?“, fragt einer.
„Hokus Pokus“, sagt der Junge. „Auf den Wagen vom Zauberer!“
Die anderen Jungs lachen laut. „Aber ich bin nicht fertig geworden“, erklärt der Junge. „Da kam jemand und ich musste abhauen.“
So eine Dreistigkeit, denke ich. Dass dieser Typ sich auch noch damit brüstet!
„Malst du das noch fertig?“, will ein anderer der Jungs wissen.
„Logo, heute Nacht!“, erklärt der Junge.
Verflixt! Das kann doch nicht wahr sein! Er will heute Nacht weiter malen. Ich überlege, wie ich mich aus dem Wohnwagen schleichen kann. Denn natürlich will ich den fremden Jungen auf frischer Tat ertappen. Ich muss mich auf die Lauer legen. Aber wie schaffe ich das, ohne dass Mama und Papa etwas merken?
„Heute Nacht?“, fragen die anderen Jungs. „Willst du etwa noch mal hierhin kommen?“
Der Junge schüttelt den Kopf. „Nein, aber nachher während der Zauberer auftritt, werde ich aus dem Zelt gehen und mein Kunstwerk vollenden.“
Er öffnet mit einem Grinsen seinen Rucksack und zeigt seinen Freunden etwas, das ich nicht sehen kann. Aber ich vermute, dass mindestens eine von diesen Dosen darin ist.
Ich habe genug gehört und gehe wieder zu Piccolo, der eine Tüte Popcorn geschnorrt hat.
„Unglaublich“, sage ich. „Der will nachher wiederkommen und an Hannos Wagen rumschmieren.“
Piccolo verschluckt sich fast an seinem Popcorn.
„Ich muss Hannos Wohnwagen observieren“, sage ich zu mir selbst.
„Obs… was?“, fragt Piccolo.
„Observieren, das heißt beobachten“, erkläre ich. „Aber alleine kann ich das nicht. Ich kann ihn ja nicht festhalten.“
„Du kannst Peppino fragen“, schlägt Piccolo vor.
Also machen wir uns auf die Suche nach unserem Bruder. Peppino schüttelt den Kopf und lacht uns erst einmal aus.
„Ihr spinnt doch“, sagt er.
„Nein, das ist wirklich so! Also, hilfst du uns?“, frage ich bettelnd. „Ich übernehme auch für eine Woche deinen Spüldienst!“
Damit habe ich meinen Bruder an der Angel. Spülen kann er nämlich gar nicht leiden. Ich zwar auch nicht, aber das ist die einzige Möglichkeit, die ich habe.
„Zwei Wochen“, fordert Peppino.
„Okay, zwei Wochen Spüldienst“, stimme ich ärgerlich zu. Das ist echt miese Erpressung, aber ich habe keine andere Wahl.
Peppino ist allerdings guter Dinge. Seinen Spüldienst ist er ja auf jeden Fall los.
Kurz nachdem Hanno sich auf den Weg zu seinem Auftritt gemacht hat, beziehen wir Position. Und wir müssen wirklich nicht lange warten, denn schon bald kommt der Junge, zieht eine Dose aus seinem Rucksack und sprüht wieder Farbe an Hannos Wagen.
Mein Herz rast bis zum Himmel. Peppino bedeutet mir, die Falle zuschnappen zu lassen.
Ich zähle leise bis drei, dann springe ich aus meinem Versteck hervor und rufe: „Erwischt!“
Der Junge lässt erschrocken die Dose fallen und will zur anderen Seite weglaufen, aber da steht jetzt Peppino. Da kommt der Junge auf mich zu gerannt, stößt mich zur Seite und flieht durch die Gasse zwischen den Wohnwagen. Ich bin einen Moment lang total überrumpelt, aber Peppino nimmt sofort die Verfolgung auf. Ich laufe in der Parallel-gasse an den Wagen vorbei. Wenn der Junge also nach links abhauen will, stehe ich da im Weg. Nach rechts kann er nicht, denn da ist ein Zaun. Ich muss mich ganz schön beeilen, aber ich gebe alles, und hole den Flüchtling und meinen Bruder bald ein.
Der Junge sieht sich panisch um. Wir haben ihn in die Enge getrieben. Wenn er jetzt abhaut, kann er nur noch in den Toilettenwagen. Und das macht er tatsächlich!
Hinter dem Toilettenwagen hat Piccolo gelauert, und schlägt nun blitzartig die Tür zu. Der Junge ist gefangen!
„Super gemacht, Piccolo!“, lobt Peppino.
Innen schlägt der Junge an die Tür. „Lasst mich raus, verdammt!“
„Ich denke ja gar nicht daran!“, brülle ich durch die Tür. „Wegen dir hab ich mords-mäßigen Ärger bekommen.“
In diesem Moment kommt Papa, der von Piccolo geholt wurde. Papa schaut ziemlich verwirrt. Er kann nicht glauben, was Piccolo ihm auf dem Weg erzählt hat.
„Da drin ist der Junge, der Hannos Wagen beschmiert hat“, erkläre ich aufgeregt. Papa guckt aber immer noch ungläubig.
Peppino nickt. „Es stimmt, Papa, ich hab’s gesehen.“
In diesem Moment finde ich Peppino nicht so bescheuert wie normalerweise.
Vorsichtig öffnet er die Tür zum Toilettenwagen. Der Junge will weglaufen, aber Papa hält ihn fest.
„Du bist also der heimliche Künstler“, sagt er. „Warum hast du Hannos Wagen beschmiert?“
„Wir haben gewettet, dass ich mich nicht traue“, antwortet der Junge zerknirscht.
So was Blödes! Wie kommt man nur auf solche Gedanken, frage ich mich.
Papa hält den Jungen fest, bis Hanno wieder zurück ist. Der Zauberer ist überrascht, dass der Junge gesprüht hat, und nicht ich.
„Dann wirst du jetzt gleich dafür sorgen, dass mein Wohnwagen wieder sauber wird“, sagt Hanno zu dem Jungen. Der nickt. Er hat ja auch keine andere Wahl. Ich grinse triumphierend. Plötzlich drehen sich Papa und Hanno zu mir um.
„Pippo, entschuldige bitte, dass wir dir nicht geglaubt haben“ sagt Hanno. „Kannst du uns verzeihen?“
Nach kurzem Nachdenken nicke ich. Ein echter Detektiv muss das können!
Hanno lacht, und während nach der Vorstellung der Junge den Wohnwagen schrubbt, erklärt mir der Zauberer einen seiner Tricks. Als Belohnung, sozusagen. Aber ich muss vorher hoch und heilig schwören, ihn keinem zu verraten. Das ist natürlich großes Zirkusehrenwort!