Kapitel 42 - Hört mich jemand?

Noah

Der Juckreiz wird mit jeder Minute schlimmer, egal wie oft ich über den Verband kratze. Okay, vielleicht liegt’s genau daran. Aber verdammt, diese blöde Brandverletzung macht mich noch wahnsinnig. Nicht genug, dass Scott mir einen ordentlichen Anschiss verpasst hat, weil ich mich vor einem Fotoshooting an so prominenter Stelle verbrannt habe. Es reicht auch nicht, dass mein verbundenes Handgelenk in jedem Interview Thema wird. Nein – das Jucken raubt mir zusätzlich nachts den ohnehin viel zu kurzen Schlaf. 

Weil ich mir nicht anders zu helfen weiß, reibe ich immer heftiger über den Verband, mit dem Erfolg, dass ich erst recht wahnsinnig werde. In der Hitze des Fernsehstudios schwitze ich obendrein unter dem Verband.

 

Andy hält meine gesunde Hand fest. „Nicht, du machst es nur schlimmer“

 

Ach was.

 

„Brauchst du noch eine Schmerztablette?“ Eine Falte teilt seine Stirn zwischen den Augenbrauen. Er macht sich immer noch Vorwürfe, dass er meine Verletzung mitverschuldet hat. Dabei habe ich ihm schon tausend Mal gesagt, dass es meine eigene Dämlichkeit war.

 

„Ne, hab gerade schon eine genommen“, erwidere ich. Die hilft zwar nicht gegen den Juckreiz, aber ein bisschen fürs Gefühl.

 

„Okay, Jungs, seid ihr so weit?“ Scott kann die Frage nur rhetorisch meinen, als er nun mit jemandem vom Fernsehteam in unserer Garderobe auftaucht. Es ist egal, ob wir fertig sind oder nicht. Wir sind jetzt dran. Liam und Suma springen von ihren Stühlen und sind schon fast draußen auf dem Gang, während Andy noch rasch seine Cola austrinkt und ich noch einmal herzhaft gähne.

 

Scott hält mich an der Tür zurück. „Lass den Ärmel vom Hemd lang. Dein Missgeschick muss nicht auf noch einer Aufnahme sichtbar sein.“

 

Ich bin zu müde, um zu argumentieren und schiebe den hochgekrempelten Ärmel über mein Handgelenk. Verdammt, ist das warm.

 

Wider besseren Wissens reibe ich auf dem Weg zur Studiobühne weiter über Ärmel und Verband. Als ein Techniker mir Headset und Sender anlegt, würde ich am liebsten aus der Haut fahren. Es kommt mir vor, als würde eine Armee Ameisen meinen Arm rauf und runter krabbeln. Wie soll ich gleich singen und tanzen?

 

Ich bohre die Fingernägel in meine Handinnenfläche und versuche gleichzeitig mich auf die erste Textzeile zu konzentrieren. Wie war das nochmal? Ach ja, the evening I saw you sitting there …

 

Prima. Als ob meine Laune nicht schon schlecht genug wäre.

 

Seit Andys und meinem nächtlichen Ausflug sind vier Tage vergangen. Vier Tage – und Nächte – in denen ich pausenlos darüber nachgegrübelt habe, wie ich Kristina zurückgewinnen kann. Die zündende Idee kam leider bislang nicht. So gesehen bin ich fast dankbar für mein verbranntes Handgelenk. Es nervt zwar tierisch, aber wenigstens ist es ein greifbares Leid, gegen das ich etwas tun kann. Auch wenn ich gerade eher gut darin bin, alles zu tun, um es schlimmer als besser zu machen.

 

„Auf Position.“

 

Ich betrete hinter Suma die Bühne, nehme meinen Platz ein und senke drehbuchgerecht mit geschlossenen Augen den Kopf. Theaternebel wabert um uns herum, kratzt im Hals. Zum Glück ist unser Auftritt Vollplayback. Das Licht des auf mich gerichteten Scheinwerfers blendet mich durch die geschlossenen Lider.

 

„Hier sind Five2Seven mit Like A Mirror“, ruft der Showmaster.

 

Jubel, Applaus.

 

Okay, Noah Hammond, übernehmen Sie.

 

Die Klavierakkorde ertönen, ich atme tief durch und hebe den Blick.

 

The evening I saw you sitting there

A silent spark lit up the air

 

Ich singe, ich tanze.

 

I don’t know how, I don’t know why.

 

Das Publikum im Studio singt mit. Ich winke den Leuten zu, als der Song zu Ende ist. Sie begleiten unseren Weg von der Bühne zur Clubecke, wo Moderator Adam auf uns wartet, mit durchgehendem Jubel und Geschrei. Adam hat trotz Mikro keine Chance, dagegen anzukommen. Wir winken wieder, verbeugen uns erneut, rufen Dankesworte, die aber vermutlich genauso untergehen wie Adams Versuche, endlich in seinem Programm fortzufahren. Schließlich bleibt ihm nichts anderes übrig als das Geschrei zu ignorieren.

 

„Mann, Mann, Mann – ist das eine Begrüßung. Und das ist ja nicht das erste Mal. Egal wohin ihr kommt, immer erwartet euch ein Riesenbahnhof. Gewöhnt man sich eigentlich daran?“

 

„Nicht so richtig. Wir sind jedes Mal wieder geflasht, wenn uns die Fans an einer Konzertlocation oder vor dem Hotel erwarten“, sagt Suma. Bescheidenheit ist eine Zier, und steht in unserem Drehbuch.

 

Mir ist warm und meine Hand wandert wie automatisch zum Handgelenk, um den Ärmel hochzuschieben. Fuck, nein, da ist immer noch der Verband. Ich soll keine unnötigen Fragen provozieren. Also stecke ich die Hand in die Hosentasche. Sieht vermutlich nicht gut aus, aber hält mich immerhin davon ab, mich ständig zu kratzen.

 

„Euer zweites Album erscheint erst in einer Woche und wird jetzt schon komplett gehyped. Was ist euer Rezept?“

 

Liam grinst verschwörerisch. „Ich glaube, unser Management wäre nicht so begeistert, wenn wir unser Geschäftsgeheimnis verraten würden.“

 

Kurzer Lacher in den Reihen.

 

„Aber im Ernst. Wir arbeiten hart für unseren Erfolg, sind seit Wochen auf Promo-Tour, davor haben wir viel Zeit im Studio verbracht“, zählt Liam auf. „Das ist aber nur die eine Seite. Das andere sind ehrliche Songs, die unseren Fans aus der Seele sprechen.“

 

Wieder Jubel. Adam nickt und wendet sich mir zu.

 

Oh nein, ich ahne, was jetzt kommt.

 

„Offenbar sprecht ihr nicht nur den Fans aus der Seele. Gerade habt ihr Like a Mirror gesungen. Noah, du wirkst bei diesem Song besonders emotional, und die Frage, die natürlich allen unter den Nägeln brennt, ist: Gibt’s da vielleicht doch jemanden in deinem Leben?“

 

Ich hab’s gewusst. Warum hat Scott diese Frage nicht längst auf den Index setzen lassen? Immerhin weiß ich, was ich sagen muss. Noah Hammond bringt die Antwort professionell rüber, doch dem kleinen Rest wahren Noah, der noch in mir steckt, wird schlecht dabei.

 

„Es ist ein emotionaler Song, das stimmt. Wir bekommen so viele Nachrichten von Fans, die uns ihr Herz ausschütten, und natürlich haben wir auch schon unsere Erfahrungen mit Liebeskummer gemacht. Like a Mirror fasst das alles einfach zusammen. Und wie Liam eben schon sagte, wir sind nur 24/7 unterwegs. Ich hätte gar keine Zeit für eine Freundin.“

 

Wenigstens der letzte Teil ist nicht gelogen, und trotzdem hoffe ich inständig, dass Kristina nichts von diesem Interview erfährt. Denn auch, wenn ich keine Zeit habe, für sie würde ich mir jederzeit welche nehmen.

 

„Noah, ich liebe dich“, gellt ein Ruf aus dem Publikum.

 

Adam schmunzelt. „Offenbar ist das Interesse trotz allem groß. Ihr geht jetzt in Kürze wieder auf Tour – worauf freut ihr euch am meisten?“

 

„Wir lieben es, auf der Bühne zu stehen. Das hatten wir in den letzten Wochen zwar auch immer wieder. Aber während der Konzerte haben wir viel mehr Zeit, unsere Musik mit den Fans zu teilen“, sagt Andy.

 

„Es gibt Fans, die ihr ganzes Geld sparen, um mehrere unserer Konzerte zu besuchen. Das bedeutet uns sehr viel, und wir freuen uns, wenn wir dann durch ein gutes Konzert etwas zurückgeben können.“

 

Suma nickt bestätigend zu dem, was Liam sagt. „In den meisten Städten gibt es auch Zeit für ein Meet and Greet, das sind für beide Seiten immer sehr besondere Momente. Wir haben einfach die besten Fans der Welt.“

 

Natürlich erntet Suma für diese Worte frenetischen Jubel. Ich ziehe meine Hand aus der Hosentasche und kratze unter dem Ärmelaufschlag über den Verband.

 

Es quietscht, als der Arzt, den Scott in meiner Suite vorbeigeschickt hat, sich die Gummihandschuhe über die Finger zieht.

 

„Okay, dann zeigen Sie mal her“, sagt er.

 

Ich strecke den Arm auf der Sessellehne aus, schiebe den Ärmel hoch und der Arzt wickelt den Verband ab. Mir schießen Tränen in die Augen.

 

„Ja, ich weiß, das brennt etwas. Es wird gleich besser“, sagt er und seufzt gleich darauf. „Haben Sie sich gekratzt?“

 

Bis jetzt habe ich auf die Topfpflanze am Fenster gesehen, jetzt schaue ich auf mein Handgelenk und ahne, wieso der Arzt seufzt. Die Haut ist stark gerötet und glänzt feucht. Das habe ich ja gut hinbekommen.

 

„Es hat so furchtbar gejuckt.“

 

„Das verstehe ich, aber Sie müssen vorsichtig sein. Die offene Wunde kann sich leicht entzünden.“ Ohne Vorwarnung wischt er mit einem Tupfer über die Verbrennung.

 

Fuuuuck. Zischend atme ich ein, mein Blick verschwimmt.

 

Der Arzt erzählt irgendetwas von neuem Verband und Hydro-irgendwas, aber ich bin zu sehr damit beschäftigt, nicht ohnmächtig zu werden, als dass ich ihm folgen könnte. Der Schmerz rast durch meinen Körper und mir wird abwechselnd heiß und kalt.

 

„So, das war’s schon.“ Der Arzt erhebt sich, zieht mit erneutem Quietschen die Handschuhe von den Händen und wirft sie in eine Plastiktüte. „Das Pflaster schützt und lindert auch den Juckreiz. Duschen ist kein Problem. In zwei Tagen sollten Sie noch mal jemanden draufschauen lassen.“

 

Meine Hand zittert, als ich den Ärmel zurückschiebe. Obwohl ich sitze, fühle ich mich wacklig. Der Arzt reicht mir ein Glas Wasser und einen Medikamentenblister.

 

„Nehmen Sie noch eine Tablette vor dem Schlafengehen. Damit sollten Sie heute Nacht schmerzfrei bleiben.“

 

„Danke.“ Ich drücke eine Tablette aus dem Blister und spüle sie mit dem Wasser meine Kehle runter.

 

Der Arzt packt sein Zeug zusammen, fragt, ob ich noch etwas brauche, und verabschiedet sich, als ich den Kopf schüttle. Es gibt eine Menge, das ich brauche, aber nichts davon kann er mir geben.

 

Der Vorschlag mit dem Schlafengehen war gut, passt nur leider nicht in mein Programm. Nur wenige Minuten, nachdem die Tür hinter dem Arzt ins Schloss gefallen ist, trete ich selbst auf den Flur und fahre mit dem Aufzug eine Etage nach unten.

 

Im Cornwall-Room sind bereits Andy, Suma, Liam, unser Management und zwei Leute von unserem Plattenlabel an einem großen runden Tisch versammelt. Auf einem langen Tisch am Kopfende des Raums steht ein Buffet bereit, von dem aus mir kräftige würzige Gerüche in die Nase steigen.

 

Scott hebt den Kopf, als ich eintrete, kommt auf mich zu und legt mir eine Hand auf den Rücken. „Alles klar?“

 

„Ja ja“, murmle ich. Scott meint vermutlich nur die Wunde, und mit der ist gerade tatsächlich alles okay.

 

Was den Rest betrifft … egal, dafür ist sowieso keine Zeit.

 

„Super, jetzt, wo alle hier sind, lasst uns loslegen. Ich denke, beim Buffet ist für jeden etwas dabei.“ Scott macht eine einladende Geste und schon setzt allgemeines Stühleschieben ein.

Scott schiebt mich vor sich her zum Buffet und ich greife wie automatisch nach einem Teller. Alles ist aufwändig angerichtet. Zucchini-Röllchen, Süßkartoffel-Falafel mit Hummus und Rohkost mit verschiedenen Dips als Vorspeise. Für den Hauptgang halten Edelstahlbehälter gegrilltes Zitronen-Hähnchen oder Lachsfilet warm. Auch Vollkornpasta und Quinoa mit Granatapfelkernen und frischer Minze stehen bereit.

 

Es riecht gut, und vermutlich ist es das auch. Ich habe trotzdem keinen Appetit. Was mich jetzt locken würde, wäre eine Portion Fish n Chips, und dazu ein anständiges IPA. Doch es gibt nicht einmal Cola. Auf dem großen Tisch stehen Wasserflaschen, am Buffet können wir noch zwischen Eistee, Cold-Brew-Kaffee oder Smoothies wählen.

 

Ich verkneife mir ein Seufzen, lege ein paar Falafel und etwas von dem Hähnchen auf meinen Teller und setze mich neben Andy, der schon genüsslich futtert.

 

Scott kommt mit einem beladenen Teller ebenfalls zurück an den Tisch, doch anstatt zu essen, bleibt er stehen und drückt auf eine Fernbedienung. Eine Präsentation mit dem Titel Launch of Signspotting – International.

 

Das Stück Falafel bleibt mir im Hals stecken. Ich wusste, dass es heute Abend um unseren Album-Release und die anstehende Tour gehen wird. Aber irgendwie hatte ich die naive Hoffnung, dass wir wenigstens in Ruhe würden essen können.

 

„Die Verkäufe und Streams für die Singles gehen durch die Decke. So wie es aussieht, könnte Like a Mirror diese Woche den Sprung an die Chartspitze schaffen“, sagt Scott.

 

Er nickt mir anerkennend zu, aber ich wende mich ab und huste, bis sich der Falafelkrümel endlich meine Kehle hinunter bequemt. Scott macht ungerührt weiter.

 

„Auch in den Social Media gehen die Songs richtig ab. Allein auf Instagram wurde Deep schon in 80.000 Reels, Like a Mirror sogar in fast 100.000 Reels genutzt.“

 

Alles bloß Zahlen. Wen interessiert das denn? Eine einzige Person, die Like a Mirror hört, würde mir reichen. Wenn diese Person Kristina wäre. Ich wälze das nächste Stück Falafel in der Hähnchen-Soße.

 

„Die limitierte Signspotting-Box ist restlos ausverkauft, die Gesamtvorbestellungen und Pre-Saves belaufen sich europaweit auf 230.000. Jungs, das könnte ein Gold-Release werden. Wenn das in Asien genauso gut läuft, geht Signspotting durch die Decke.“

 

Ich will auch durch die Decke gehen. Allerdings würde mir die Zimmerdecke zwei Meter über mir reichen. Der Rat des Arztes, die Schmerztablette vor dem Schlafengehen zu nehmen, kam offenbar nicht von ungefähr. Meine Augenlider sind so schwer, dass ich sie nur mit größter Anstrengung aufhalten kann.

 

Auf der Wand erscheint eine neue Folie. Asia Rollout Phase II.

 

„Und dann kommt Asien. Los geht’s in Tokio. Zwei Tage Promo mit Morning-TV, Nachtjournal und TikTok-Livestream. Weiter nach Osaka und direkt im Anschluss nach Seoul. Pressekonferenz mit über fünfzig Journalisten und anschließendem Live-Gig.“

 

Ich zerteile das Hähnchen vor mir in kleine Teile, esse aber nichts davon. Scott haut eine Zahl und eine Stadt nach der nächsten raus. Es geht zu schnell und ich kann den Zusammenhang zwischen Honkong, Hashtag und Sound-Filter nicht mehr herstellen.

 

„Krass“, murmelt Andy.

 

„Das ist der Startpunkt für euer internationales Crossover. – Aber no pressure, Jungs.“

 

Ne, natürlich nicht. Wir haben ja auch in den letzten Monaten kaum Druck gehabt. Ich lege Messer und Gabel auf meinem Teller ab. Der Appetit ist mir endgültig vergangen.

Worauf habe ich mich eingelassen, als ich vor anderthalb Jahren diesen Vertrag unterschrieben habe? Wieso hat mich niemand gewarnt? Wie soll ich das durchhalten?

Meine Wangen sind heiß, ein kalter Schauer jagt mir über den gesamten Körper. Ich muss hier raus.  

 

Von der Wand leuchten noch immer die Daten, der Asien-Tournee, aber ich kann keine einzige Zahl mit Inhalt fühlen. Ich schiebe meinen Stuhl zurück, deute auf Scotts fragenden Blick auf mein Handgelenk. Er nickt. Toll, jetzt ist die Verbrennung doch noch für etwas gut.

 

Nur zwei Minuten später bin ich zurück in meiner Suite. Ohne mehr als die Schuhe auszuziehen, lasse ich mich auf das Bett fallen. Aber die Müdigkeit, die mich eben noch gefangen hielt, ist wie weggeblasen. Ich stehe wieder auf. Laufe zwischen Fensterfront und Couch hin und her.

 

Acht Stockwerke unter mir liegt London, das noch die letzten Strahlen der Abendsonne einfängt, ehe in ungefähr einer Stunde alle Lichter angehen werden. Seit wir gestern in der Hauptstadt angekommen sind, hatten wir keine freie Minute. Chelsea ist nur ein paar U-Bahn-Stationen entfernt, trotzdem hatte ich keine Chance nach Hause zu fahren.

 

Nicht, dass ich darauf gehofft hätte. Aber jetzt wäre ich gern da. Bestimmt nicht wegen Dad. Seit der kurzangebundenen Nachricht zum ersten Charterfolg von Like a Mirror habe ich nichts mehr von ihm gehört. Doch für Marbles Gesellschaft würde ich diese Suite ohne zu zögern gegen eine kalte Bruchbude eintauschen.

 

Ich fahre über die Oberfläche des neuen Pflasters. Sheffield.

 

Ich könnte einfach abhauen, wie Andy es mir gezeigt hat.

 

Kurz nach Hause, mich von Marble aufmuntern lassen, und morgen früh wäre ich wieder hier. Ja, das kann klappen. Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche und rufe Marble an. Zwar würde ich sie gern überraschen, aber ich muss wissen, ob in unserer Villa die Luft rein ist. Wenn ich bei meinem Ausflug Dad über den Weg laufen würde …

 

Das Freizeichen ertönt. Einmal. Zweimal. Dreimal.

 

„Komm schon, geh ran!“

 

Ein Viertes Mal. Nach dem fünften Mal wird die Verbindung abgebrochen.

 

„Fuck.“ Ich wechsle zum Messenger, vor anderthalb Stunden hat sie ihren Status aktualisiert. Eine riesige Schüssel Popcorn vor einem Fernseher. Filmnacht mit Freundn.

 

Ich lasse das Smartphone sinken. Sie ist unterwegs. Ausgerechnet jetzt.

 

Unter mir tobt das Londoner Leben. Vielleicht ist Marble irgendwo dort. Näher als ich mir vorstellen kann, aber doch nicht nah genug.

 

Die Enttäuschung brennt in meiner Brust, breitet sich aus, kriecht wie schwarzwabernde Tinte durch meine Adern. Jeder Zentimeter, den sie in mir gewinnt, schmerzt mehr als der vorherige.

 

„Hör auf.“ Ich erschrecke selbst über die Hilflosigkeit in meiner Stimme.

Hier ist niemand außer mir. Und das, was da in mir wuchert, wird sich durch meine Worte nicht aufhalten lassen.

 

Ich schaue in die Minibar. Wasser, zwei Sorten Fruchtsaft. War ja klar, dass Scott auch hier für Ordnung gesorgt hat. Ich knalle die Tür zu, richte mich auf.

 

Aus dem Spiegel über dem Sideboard mit der Minibar blickt mir jemand entgegen, der meine Züge trägt. Ist das Noah Hammond?

 

Nein, der Mädchenschwarm von Five2Seven sieht besser aus. Noah Hammond lacht immer, aus ihm spricht die pure Lebensfreude.

 

Das Gesicht vor mir hat nichts davon. Ist das der wahre Noah? Müde. Verzweifelt. Irgendwie zombiehaft. So bin ich nicht. Oder? Ich will so nicht sein.

 

„Fuck!“

 

Mit aller Kraft ramme ich meine Faust gegen das Spiegelbild. Knirschend zersplittert es und verteilt sich vor mir auf dem Sideboard und dem Bodem. Ein leerer Rahmen bleibt zurück. Eine Welle der Erleichterung überkommt mich.

Bis ich die kleinen und größeren roten Punkte entdecke, die zwischen den Scherben glänzen. 

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